Wichtige Informationen über Beruhigungsmittel mit Abhängigkeitspotenzial
Was sind Benzodiazepine?
Benzodiazepine sind eine Gruppe von Medikamenten, die beruhigend, angstlösend, muskelentspannend und schlaffördernd wirken. Sie gehören zu den am häufigsten verschriebenen Psychopharmaka weltweit.
Diese Medikamente wirken auf das zentrale Nervensystem, indem sie die Wirkung des beruhigenden Botenstoffs GABA (Gamma-Aminobuttersäure) verstärken. Das führt zu einer dämpfenden Wirkung auf die Gehirnaktivität.
Benzodiazepine verstärken die Wirkung von GABA, dem wichtigsten hemmenden Neurotransmitter im Gehirn. GABA reduziert die Aktivität von Nervenzellen und hat dadurch eine beruhigende Wirkung.
Die Wirkung tritt meist sehr schnell ein – oft schon nach 15-30 Minuten. Das ist ein Grund, warum diese Medikamente bei akuten Angst- oder Panikzuständen eingesetzt werden.
Wofür werden Benzodiazepine eingesetzt?
Trotz ihres Abhängigkeitspotenzials haben Benzodiazepine bei korrekter Anwendung wichtige medizinische Einsatzgebiete:
Akute Angstzustände und Panikattacken
Bei schweren Angststörungen oder Panikattacken können Benzodiazepine kurzfristig helfen, bis andere Medikamente wie SSRI ihre Wirkung entfalten.
Schlafstörungen
Bei schweren Schlafstörungen werden kurzwirksame Benzodiazepine wie Temazepam eingesetzt. Allerdings sollten sie nur für wenige Tage verwendet werden.
Epileptische Anfälle
Benzodiazepine wie Diazepam werden bei akuten epileptischen Anfällen als Notfallmedikament eingesetzt.
Muskelkrämpfe und Spastiken
Die muskelentspannende Wirkung wird bei schmerzhaften Muskelkrämpfen genutzt.
Alkoholentzug
Im stationären Rahmen werden Benzodiazepine zur Behandlung des Alkoholentzugssyndroms verwendet, um Krampfanfälle und Delirium zu verhindern.
Prämedikation vor Operationen
Vor medizinischen Eingriffen werden Benzodiazepine zur Beruhigung der Patienten eingesetzt.
Vergleich der verschiedenen Benzodiazepine
Die verschiedenen Benzodiazepine unterscheiden sich hauptsächlich in ihrer Wirkdauer:
Benzodiazepine können verschiedene Nebenwirkungen verursachen, besonders zu Beginn der Behandlung:
Häufige Nebenwirkungen
Müdigkeit und Benommenheit: Vor allem am nächsten Morgen (Hangover-Effekt)
Konzentrationsstörungen: Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit
Muskelschwäche: Gefühl von Kraftlosigkeit
Schwindel: Besonders beim Aufstehen
Koordinationsstörungen: Erhöhte Sturzgefahr, besonders bei älteren Menschen
Paradoxe Reaktionen
Bei manchen Menschen können Benzodiazepine gegenteilige Wirkungen auslösen:
Erhöhte Unruhe und Erregung
Aggressivität
Verwirrtheit
Enthemmung
Besonders bei Kindern, älteren Menschen und bei höheren Dosen können solche paradoxen Reaktionen auftreten.
Gedächtnisstörungen
Benzodiazepine können das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigen. Besonders betroffen ist die Fähigkeit, neue Erinnerungen zu bilden (anterograde Amnesie). Ereignisse nach der Einnahme werden möglicherweise nicht mehr erinnert.
Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit
Wichtig: Unter Benzodiazepinen dürfen Sie kein Fahrzeug führen und keine Maschinen bedienen! Die Reaktionsfähigkeit ist deutlich eingeschränkt.
Das Hauptproblem: Abhängigkeit
Die größte Gefahr bei Benzodiazepinen ist die Entwicklung einer Abhängigkeit. Dies kann bereits nach wenigen Wochen regelmäßiger Einnahme geschehen.
Wie entsteht die Abhängigkeit?
Bei regelmäßiger Einnahme gewöhnt sich das Gehirn an die Präsenz des Medikaments:
Toleranzentwicklung: Der Körper braucht immer höhere Dosen für die gleiche Wirkung
Körperliche Abhängigkeit: Der Körper benötigt das Medikament, um normal zu funktionieren
Psychische Abhängigkeit: Starkes Verlangen nach dem Medikament, Angst ohne das Medikament
Anzeichen einer Abhängigkeit
Dosiserhöhung ohne Rücksprache mit dem Arzt
Unfähigkeit, die Einnahme zu reduzieren oder zu beenden
Mehrere Ärzte aufsuchen, um Rezepte zu erhalten ("Doctor Shopping")
Angst vor dem Absetzen
Das Leben dreht sich zunehmend um das Medikament
Entzugssymptome bei Dosisreduktion
Risikofaktoren für Abhängigkeit
Längere Einnahmedauer (über 4 Wochen)
Höhere Dosierung
Kurz wirksame Benzodiazepine
Frühere Suchterkrankungen
Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale
Fehlende psychotherapeutische Begleitung
Entzugssymptome bei Benzodiazepinen
Wenn Benzodiazepine nach längerer Einnahme reduziert oder abgesetzt werden, können verschiedene Entzugssymptome auftreten:
Frühe Entzugssymptome (1-4 Tage)
Angst und Unruhe (oft stärker als vor der Behandlung)
Schlafstörungen
Zittern
Schwitzen
Herzrasen
Kopfschmerzen
Schwere Entzugssymptome
Epileptische Anfälle (besonders bei abruptem Absetzen)
Verwirrtheit und Delirium
Halluzinationen
Starke Angst- und Panikattacken
Langanhaltende Entzugssymptome
Bei manchen Patienten können Symptome über Wochen oder Monate anhalten:
Anhaltende Angst
Schlafstörungen
Konzentrationsprobleme
Reizbarkeit
Überempfindlichkeit gegenüber Licht und Geräuschen
Muskelschmerzen
Sicheres Absetzen von Benzodiazepinen
Das Absetzen sollte immer unter ärztlicher Aufsicht erfolgen. Der Prozess kann je nach Einnahmedauer mehrere Wochen bis Monate dauern.
Das Ausschleichen
Die Dosis wird schrittweise reduziert, typischerweise um 10-25% alle 1-2 Wochen. Bei langfristiger Einnahme kann der Prozess noch langsamer sein.
Beispiel für Lorazepam (Tavor) 2,5 mg täglich:
Woche 1-2: 2,0 mg täglich
Woche 3-4: 1,5 mg täglich
Woche 5-6: 1,0 mg täglich
Woche 7-8: 0,5 mg täglich
Woche 9-10: 0,25 mg täglich
Dann Absetzen
Dies ist nur ein Beispiel. Der individuelle Plan muss mit dem Arzt besprochen werden!
Umstellung auf länger wirksame Benzodiazepine
Manchmal wird ein kurz wirksames Benzodiazepin wie Alprazolam zunächst auf ein länger wirksames wie Diazepam umgestellt, bevor das Ausschleichen beginnt. Dies kann den Entzug erleichtern.
Unterstützende Maßnahmen
Psychotherapie: Hilft, mit Ängsten und Schlafproblemen umzugehen
Alkohol: Die Kombination von Benzodiazepinen mit Alkohol ist extrem gefährlich und kann zu Atemstillstand und Tod führen. Selbst geringe Mengen Alkohol sind riskant!
Opioide: Die Kombination mit Schmerzmitteln wie Tramadol, Tilidin oder Oxycodon erhöht das Risiko einer Atemlähmung dramatisch. Viele Todesfälle durch Überdosierung betreffen diese Kombination.
Andere dämpfende Medikamente: Z-Substanzen (Zolpidem, Zopiclon), Antipsychotika oder manche Antidepressiva können die Wirkung verstärken.
Gegenanzeigen
Benzodiazepine sollten nicht eingenommen werden bei:
Schwerer Ateminsuffizienz
Schlafapnoe-Syndrom
Myasthenia gravis (Muskelschwächekrankheit)
Akuter Vergiftung mit Alkohol oder anderen dämpfenden Substanzen
Bekannter Abhängigkeit von Alkohol oder Drogen (außer unter stationärer Aufsicht)
Vorsicht in Schwangerschaft und Stillzeit
Benzodiazepine sollten in der Schwangerschaft möglichst vermieden werden, besonders im ersten Trimester. Sie können das ungeborene Kind schädigen und beim Neugeborenen zu Entzugssymptomen führen.
In der Stillzeit gehen Benzodiazepine in die Muttermilch über und können das Baby sedieren.
Alternativen zu Benzodiazepinen
Bei vielen Beschwerden gibt es Alternativen mit geringerem Abhängigkeitsrisiko:
Psychotherapie: Zum Erlernen von Bewältigungsstrategien
Besondere Patientengruppen
Ältere Menschen
Bei älteren Menschen sind Benzodiazepine besonders problematisch:
Erhöhtes Sturzrisiko: Durch Schwindel und Koordinationsstörungen
Verwirrtheit: Höheres Risiko für delirante Zustände
Längere Wirkdauer: Der Abbau ist verlangsamt
Gedächtnisprobleme: Können Demenz-Symptome verstärken
Bei älteren Patienten sollten Benzodiazepine nur in Ausnahmefällen, in niedrigerer Dosis und für kürzere Zeit eingesetzt werden.
Kinder und Jugendliche
Bei Kindern werden Benzodiazepine nur in besonderen Situationen eingesetzt, etwa bei epileptischen Anfällen oder vor medizinischen Eingriffen.
Menschen mit Suchterkrankungen
Bei Personen mit einer aktuellen oder früheren Suchterkrankung sollten Benzodiazepine wenn möglich vermieden werden, da das Risiko einer Abhängigkeitsentwicklung deutlich erhöht ist.
Z-Substanzen: Eine Alternative?
Sogenannte Z-Substanzen wie Zolpidem, Zopiclon und Zaleplon wurden als "sicherere" Alternative zu Benzodiazepinen entwickelt. Sie wirken ähnlich, haben aber:
Eine kürzere Halbwertszeit (weniger Hangover-Effekt)
Hauptsächlich schlaffördernde Wirkung
Angeblich geringeres Abhängigkeitsrisiko
Aber Achtung: Auch Z-Substanzen können abhängig machen! Sie sollten ebenfalls nur kurzfristig eingesetzt werden. Die Einnahme über Monate oder Jahre ist auch hier problematisch.
Fazit: Nutzen und Risiken abwägen
Benzodiazepine sind wirksame Medikamente mit wichtigen Einsatzgebieten, insbesondere:
In akuten Krisensituationen
Bei epileptischen Anfällen
Im Rahmen des stationären Alkoholentzugs
Als Notfallmedikament bei schweren Angst- oder Panikzuständen
Die Regel sollte sein: So kurz wie möglich, so niedrig wie nötig!
Für die längerfristige Behandlung von Angststörungen oder Depressionen sind andere Medikamente wie SSRI oder SNRI in Kombination mit Psychotherapie die bessere Wahl.
Wenn Sie Benzodiazepine einnehmen, bleiben Sie in engem Kontakt mit Ihrem Arzt und besprechen Sie regelmäßig, ob die Behandlung noch notwendig ist und wie ein schrittweises Ausschleichen erfolgen kann.