😰 Angststörungen verstehen und behandeln

Umfassende Informationen über Panikattacken, Phobien, generalisierte Angst und soziale Ängste. Erfahren Sie, wie Angststörungen entstehen und welche wirksamen Behandlungen es gibt.

Was sind Angststörungen?

Angst ist eine normale und wichtige Emotion. Sie warnt uns vor Gefahren und bereitet den Körper auf Flucht oder Kampf vor. Von einer Angststörung spricht man erst dann, wenn die Angst:

Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen überhaupt. In Deutschland leidet etwa jeder zehnte Erwachsene im Laufe seines Lebens an einer behandlungsbedürftigen Angststörung. Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer.

💡 Gute Nachricht: Angststörungen sind sehr gut behandelbar!

Mit den richtigen Therapiemethoden können 70-80% der Betroffenen deutliche Besserung oder vollständige Heilung erreichen. Je früher die Behandlung beginnt, desto besser sind die Aussichten.

Die Kombination aus Psychotherapie (vor allem kognitive Verhaltenstherapie) und bei Bedarf Medikamenten gilt als besonders wirksam.

Die verschiedenen Arten von Angststörungen

Angststörung ist ein Oberbegriff für verschiedene Erkrankungen, die sich in ihren Symptomen und Auslösern unterscheiden:

🌪️ Generalisierte Angststörung (GAS)

Anhaltende, übertriebene Sorgen und Ängste über alltägliche Dinge wie Gesundheit, Finanzen, Arbeit oder Familie. Die Betroffenen können ihre Sorgen nicht kontrollieren und fühlen sich ständig angespannt.

  • Ständiges Grübeln und "Kopfkino"
  • Muskelanspannung und Verspannungen
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Reizbarkeit und Nervosität
  • Schlafstörungen

💥 Panikstörung

Wiederkehrende, plötzliche Angstanfälle (Panikattacken) ohne erkennbaren äußeren Auslöser. Die Attacken erreichen innerhalb von Minuten ihren Höhepunkt und sind begleitet von intensiven körperlichen Symptomen.

  • Herzrasen und Herzklopfen
  • Atemnot und Erstickungsgefühl
  • Schwindel und Benommenheit
  • Todesangst oder Angst, verrückt zu werden
  • Angst vor der nächsten Attacke

🚪 Agoraphobie

Angst vor Situationen oder Orten, aus denen eine Flucht schwierig oder peinlich wäre, oder in denen im Fall einer Panikattacke keine Hilfe verfügbar wäre.

  • Angst vor öffentlichen Verkehrsmitteln
  • Angst vor Menschenmengen
  • Angst vor weiten, offenen Plätzen
  • Angst vor geschlossenen Räumen
  • Vermeidung des Alleinseins außer Haus

👥 Soziale Angststörung (Sozialphobie)

Ausgeprägte und anhaltende Angst vor sozialen Situationen, in denen man im Mittelpunkt stehen oder bewertet werden könnte. Die Angst ist so stark, dass soziale Kontakte gemieden werden.

  • Angst vor Ablehnung und negativer Bewertung
  • Erröten, Zittern, Schwitzen in sozialen Situationen
  • Vermeidung von Vorträgen, Präsentationen
  • Schwierigkeiten, in der Öffentlichkeit zu essen
  • Einsamkeit trotz Sehnsucht nach Kontakt

🕷️ Spezifische Phobien

Intensive, irrationale Angst vor bestimmten Objekten oder Situationen. Die Angst ist unverhältnismäßig zur tatsächlichen Gefahr.

  • Tierphobien (Spinnen, Hunde, Schlangen)
  • Höhenangst (Akrophobie)
  • Flugangst (Aviophobie)
  • Spritzenphobie
  • Angst vor Blut oder Verletzungen

🔁 Zwangsstörungen

Auch wenn Zwangsstörungen in neueren Klassifikationen nicht mehr zu den Angststörungen gezählt werden, sind sie eng mit Angst verbunden. Betroffene erleben quälende Zwangsgedanken und/oder -handlungen.

  • Kontrollzwänge (z.B. Herd, Türschloss)
  • Waschzwänge aus Angst vor Keimen
  • Zählzwänge und Ordnungszwänge
  • Zwangsgedanken (aggressive, sexuelle Inhalte)

→ Mehr zu Zwangsstörungen

Symptome: Wie äußern sich Angststörungen?

Angststörungen zeigen sich auf drei Ebenen: körperlich, gedanklich und im Verhalten.

Körperliche Symptome

  • Herzrasen, Herzklopfen, Herzstolpern
  • Atemnot, Kurzatmigkeit, Hyperventilation
  • Schwindel, Benommenheit, Schwächegefühl
  • Zittern, Muskelzucken
  • Schwitzen, Hitzewallungen, Kälteschauer
  • Übelkeit, Bauchschmerzen, Durchfall
  • Enge- oder Druckgefühl in Brust/Hals
  • Kribbeln oder Taubheitsgefühle

Gedankliche Symptome

  • Katastrophengedanken ("Es passiert etwas Schlimmes")
  • Kontrollverlustängste
  • Angst vor Herzinfarkt oder Schlaganfall
  • Angst, verrückt zu werden
  • Todesangst
  • Ständiges Grübeln und Sorgen
  • Konzentrationsstörungen
  • Gefühl der Unwirklichkeit (Derealisation)

Verhaltensänderungen

  • Vermeidung angstauslösender Situationen
  • Rückversicherungsverhalten
  • Einschränkung des Bewegungsradius
  • Sozialer Rückzug
  • Nur noch mit Begleitung unterwegs
  • Ständige Fluchtbereitschaft
  • Medikamenten- oder Alkoholmissbrauch zur "Selbstmedikation"

⚠️ Vorsicht vor dem Teufelskreis der Angst

Vermeidungsverhalten lindert die Angst kurzfristig, verstärkt sie aber langfristig. Je mehr man meidet, desto größer wird die Angst vor der Situation. Dieser Kreislauf ist typisch für Angststörungen:

1. Angstauslösende Situation → 2. Angstgedanken → 3. Körperliche Reaktion → 4. Noch mehr Angst → 5. Flucht/Vermeidung → 6. Kurzfristige Erleichterung → 7. Langfristig: Angst wird größer

Psychotherapie hilft, diesen Kreislauf zu durchbrechen!

Ursachen: Wie entstehen Angststörungen?

Angststörungen entstehen meist durch ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Es gibt nicht die eine Ursache, sondern ein komplexes Wechselspiel:

Biologische Faktoren

Psychologische Faktoren

Soziale und Umweltfaktoren

Aufrechterhaltende Faktoren

Diagnose: Wann sollte ich zum Arzt?

Sie sollten professionelle Hilfe suchen, wenn:

Wo bekomme ich Hilfe?

Erste Anlaufstellen können sein:

🔍 Die Diagnosestellung

Die Diagnose einer Angststörung erfolgt durch ein ausführliches Gespräch (Anamnese). Der Arzt oder Therapeut fragt nach:

  • Art und Häufigkeit der Angstsymptome
  • Auslösesituationen
  • Beginn und Verlauf der Beschwerden
  • Auswirkungen auf den Alltag
  • Früheren psychischen Erkrankungen
  • Medikamenteneinnahme

Zusätzlich werden meist körperliche Untersuchungen durchgeführt, um organische Ursachen (z.B. Schilddrüsenüberfunktion, Herzrhythmusstörungen) auszuschließen.

Behandlung von Angststörungen

Die gute Nachricht: Angststörungen gehören zu den am besten behandelbaren psychischen Erkrankungen. Die Behandlung ruht auf zwei Säulen:

1. Psychotherapie (erste Wahl!)

Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) gilt als Goldstandard in der Behandlung von Angststörungen. Sie zeigt bei 60-80% der Patienten deutliche Erfolge.

Was passiert in der Verhaltenstherapie?

✅ Expositionstherapie: Angst durch Konfrontation überwinden

Das klingt paradox, aber es funktioniert: Durch die wiederholte Konfrontation mit der angstauslösenden Situation ohne Flucht oder Vermeidung lernt das Gehirn, dass die befürchtete Katastrophe nicht eintritt.

Beispiel Spinnenangst: Zunächst Bilder von Spinnen ansehen, dann Videos, dann Spinnen in geschlossenen Behältern, schließlich Spinnen in der Hand halten – immer in kleinen, machbaren Schritten.

Die Angst wird zunächst stark ansteigen, erreicht dann einen Höhepunkt und sinkt von selbst wieder ab (Habituation). Diese Erfahrung ist heilsam!

Weitere Therapieformen

2. Medikamentöse Behandlung

Medikamente können die Therapie unterstützen, ersetzen aber nicht die Psychotherapie. Sie kommen zum Einsatz bei:

Medikamente der ersten Wahl: SSRIs und SNRIs

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRIs) sind die Standardmedikation bei Angststörungen:

Wichtig zu wissen:

Benzodiazepine: Notfallmedikation, aber Vorsicht!

Benzodiazepine wie Lorazepam (Tavor), Alprazolam oder Diazepam wirken schnell angstlösend und beruhigend, haben aber erhebliche Nachteile:

⚠️ Benzodiazepine: Nur kurzfristig!

Benzodiazepine sollten nur in Ausnahmefällen und dann maximal 4 Wochen eingenommen werden. Sie sind geeignet für:

  • Akute Krisensituationen
  • Überbrückung bis SSRIs wirken
  • Schwere Panikattacken als "Notfallmedikament"

Sie sind keine Dauerlösung! Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über Alternativen.

Weitere Medikamente

Selbsthilfe: Was kann ich selbst tun?

Neben professioneller Hilfe gibt es viele Dinge, die Sie selbst tun können:

Akuthilfe bei Panikattacken

🆘 SOS-Strategien bei akuter Panik

  • Atmen: Bewusst langsam und tief in den Bauch atmen (4 Sekunden ein, 6 Sekunden aus)
  • Erden: 5-4-3-2-1-Technik: Benennen Sie 5 Dinge, die Sie sehen, 4 die Sie hören, 3 die Sie fühlen, 2 die Sie riechen, 1 das Sie schmecken
  • Akzeptieren: "Das ist eine Panikattacke. Sie ist unangenehm, aber nicht gefährlich. Sie geht vorbei."
  • Nicht flüchten: Bleiben Sie in der Situation, bis die Angst abnimmt
  • Bewegung: Spazierengehen kann helfen, die Energie abzubauen

Langfristige Selbsthilfe-Strategien

Entspannungstechniken

Lebensstil

Angsttagebuch führen

Notieren Sie:

Dies hilft, Muster zu erkennen und Fortschritte sichtbar zu machen.

Selbsthilfegruppen

Der Austausch mit anderen Betroffenen kann sehr entlastend sein. Sie merken: "Ich bin nicht allein!" Viele Städte haben Selbsthilfegruppen für Angststörungen.

Apps und Online-Programme

Es gibt zunehmend qualitätsgeprüfte digitale Angebote:

Leben mit Angststörungen: Langfristige Perspektiven

Prognose: Wie sind die Heilungschancen?

Die Prognose ist grundsätzlich gut:

Komplikationen vermeiden

Unbehandelte Angststörungen können zu weiteren Problemen führen:

Für Angehörige: Wie kann ich helfen?

📚 Buchtipps und Ressourcen

  • "Wenn plötzlich die Angst kommt" von Roger Baker – Selbsthilfe bei Panik und Agoraphobie
  • "Arbeitsbuch Angst" von Katharina Stengler – Praktischer Ratgeber mit Übungen
  • "Ängste verstehen und überwinden" von Doris Wolf – Klassiker der Selbsthilfe
  • Deutsche Angsthilfe e.V.: Selbsthilfeorganisation mit vielen Informationen
  • Angst-und-Panik.de: Forum und Informationsportal

Spezielle Angststörungen im Detail

Generalisierte Angststörung (GAS)

Menschen mit GAS machen sich ständig übermäßige Sorgen über verschiedenste Dinge. Die Sorgen sind schwer zu kontrollieren und beeinträchtigen den Alltag erheblich.

Typisch: "Was-wäre-wenn"-Gedanken, Grübeln über unwahrscheinliche Katastrophen, Unfähigkeit zur Entspannung

Behandlung: Kognitive Verhaltenstherapie mit Sorgenkonfrontation, Entspannungsverfahren, Escitalopram oder Venlafaxin

Panikstörung mit/ohne Agoraphobie

Plötzliche, intensive Angstanfälle ohne erkennbaren Auslöser. Die Angst vor der nächsten Attacke ("Angst vor der Angst") bestimmt das Leben.

Typisch: Herzrasen, Erstickungsgefühl, Schwindel, Todesangst, Vermeidung von Orten, an denen Panikattacken auftraten

Behandlung: Konfrontationstherapie, Interozeptive Exposition (bewusste Herbeiführung körperlicher Symptome), Sertralin oder Paroxetin

Soziale Angststörung

Starke Angst vor sozialen Situationen aus Furcht vor negativer Bewertung. Kann sich auf bestimmte Situationen beschränken (z.B. öffentliches Sprechen) oder generalisiert sein.

Typisch: Erröten, Zittern, Schwitzen vor anderen Menschen, Vermeidung sozialer Kontakte trotz Wunsch danach

Behandlung: Kognitive Verhaltenstherapie mit Videoanalyse, soziales Kompetenztraining, Paroxetin oder Escitalopram

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Ist eine Angststörung eine echte Krankheit?

Ja, absolut! Angststörungen sind anerkannte psychische Erkrankungen mit neurologischen Veränderungen im Gehirn. Sie sind nicht "nur Einbildung" oder Schwäche.

Kann ich von Angststörungen sterben?

Nein. Auch wenn Panikattacken sich wie ein Herzinfarkt anfühlen können – sie sind nicht lebensbedrohlich. Die körperlichen Symptome sind unangenehm, aber nicht gefährlich.

Wie lange dauert eine Therapie?

Eine Verhaltenstherapie bei Angststörungen umfasst typischerweise 20-40 Sitzungen über mehrere Monate. Bei spezifischen Phobien können manchmal schon 10-15 Sitzungen ausreichen.

Muss ich für immer Medikamente nehmen?

Nicht unbedingt. Nach erfolgreicher Therapie und stabiler Besserung können Medikamente oft ausgeschlichen werden. Die Entscheidung trifft man gemeinsam mit dem Arzt.

Kann ich ohne Medikamente gesund werden?

Ja, bei leichten bis mittelschweren Angststörungen ist Psychotherapie allein oft ausreichend. Bei schweren Formen kann die Kombination sinnvoll sein.

Was, wenn die Therapie nicht hilft?

Dann gibt es Alternativen: andere Therapieformen, Medikamentenwechsel, intensivere Behandlung (Tagesklinik, Klinik). Nicht aufgeben – es gibt viele Wege!

Sind Angststörungen heilbar?

Ja, viele Menschen werden komplett gesund. Andere lernen, so gut mit ihrer Angst umzugehen, dass sie kaum noch eingeschränkt sind. Eine Neigung zu Angst kann bleiben, aber man kann lernen, damit zu leben.

ℹ️ Weitere Hilfe und Informationen

Deutsche Angsthilfe e.V.: Selbsthilfeorganisation

Deutsche Angst-Zeitschrift (DAZ): Informationen und Erfahrungsberichte

Therapeutensuche: (Bundespsychotherapeutenkammer)

NAKOS: Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen