Carbamazepin (Tegretal)

Antiepileptikum und Stimmungsstabilisierer bei Epilepsie, bipolarer Störung und Nervenschmerzen

💊 Wirkstoff: Carbamazepin 🏥 Klasse: Antiepileptikum 📋 Verschreibungspflichtig

📊 Carbamazepin auf einen Blick

Wirkstoff
Carbamazepin
Handelsname
Tegretal
Wirkungseintritt
1-2 Wochen (voll)
Halbwertszeit
12-17 Stunden
Hauptanwendung
Epilepsie
Blutkontrollen
Zwingend erforderlich

Was ist Carbamazepin?

Carbamazepin ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der Antiepileptika, der hauptsächlich zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt wird. Der bekannteste Handelsname ist Tegretal (manchmal auch Tegretol geschrieben).

Neben der Verwendung bei Anfallsleiden wird Carbamazepin auch als Stimmungsstabilisierer bei bipolarer Störung und zur Behandlung bestimmter Nervenschmerzen (Trigeminusneuralgie) eingesetzt. Es gehört zu den ältesten und am besten untersuchten Antiepileptika.

🔍 Gut zu wissen

Carbamazepin wurde bereits in den 1960er Jahren entwickelt und ist eines der weltweit am häufigsten verschriebenen Antiepileptika. Es steht auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Wie wirkt Carbamazepin?

Carbamazepin wirkt vor allem durch die Stabilisierung elektrischer Aktivität im Gehirn.

Der Wirkmechanismus

Die Hauptwirkung von Carbamazepin beruht auf:

Wirkung bei verschiedenen Erkrankungen

Bei Epilepsie

Carbamazepin verhindert oder reduziert epileptische Anfälle, indem es die übermäßige elektrische Aktivität im Gehirn dämpft. Es ist besonders wirksam bei:

Bei bipolarer Störung

Als Stimmungsstabilisierer verhindert Carbamazepin manische und depressive Episoden. Es stabilisiert die Stimmung und reduziert die Häufigkeit und Schwere von Stimmungsschwankungen.

Bei Trigeminusneuralgie

Carbamazepin lindert die extrem schmerzhaften Gesichtsschmerzen bei Trigeminusneuralgie, indem es die Schmerzweiterleitung in den betroffenen Nerven dämpft.

Wirkungseintritt und -dauer

⚠️ Autoinduktion

Eine Besonderheit von Carbamazepin: Es beschleunigt seinen eigenen Abbau in der Leber (Autoinduktion). Das bedeutet, dass die Halbwertszeit anfangs länger ist (bis zu 65 Stunden) und sich nach einigen Wochen auf 12-17 Stunden verkürzt. Deshalb muss die Dosis oft nach den ersten Wochen angepasst werden.

Wofür wird Carbamazepin eingesetzt?

Carbamazepin hat drei Hauptanwendungsgebiete:

1. Epilepsie (Hauptanwendung)

Carbamazepin ist Mittel der ersten Wahl bei:

Nicht geeignet bei:

2. Bipolare Störung

Als Stimmungsstabilisierer bei:

3. Trigeminusneuralgie

Behandlung extremer Gesichtsschmerzen:

Weitere (seltene) Anwendungen

Dosierung und Einnahme

Die Dosierung wird individuell angepasst und schrittweise erhöht (Einschleichen).

Verfügbare Stärken

Carbamazepin (Tegretal) gibt es in verschiedenen Darreichungsformen:

Retardtabletten werden bevorzugt eingesetzt, da sie den Wirkstoff langsam freisetzen und so stabilere Blutspiegel und weniger Nebenwirkungen verursachen.

Dosierung bei Epilepsie

Erwachsene und Jugendliche ab 15 Jahren

Woche Dosis Verteilung
Woche 1 200 mg pro Tag 1x 200 mg oder 2x 100 mg
Woche 2-3 400-600 mg pro Tag Auf 2-3 Dosen verteilen
Erhaltungsdosis 800-1200 mg pro Tag Auf 2-3 Dosen verteilen
Maximaldosis 1600 mg pro Tag In Ausnahmefällen bis 2000 mg

Kinder

Die Dosierung bei Kindern richtet sich nach Körpergewicht:

Dosierung bei bipolarer Störung

Phase Dosis Hinweise
Startdosis 200-400 mg pro Tag Langsam einschleichen
Dosissteigerung Wöchentlich um 200 mg Bis zur Wirkung oder Nebenwirkungen
Erhaltungsdosis 400-1200 mg pro Tag Auf 2-3 Dosen verteilen

Dosierung bei Trigeminusneuralgie

Wichtige Einnahmeregeln

🚫 Niemals abrupt absetzen!

Bei Epilepsie kann ein plötzliches Absetzen von Carbamazepin zu schweren Krampfanfällen bis hin zum lebensbedrohlichen Status epilepticus führen! Auch bei bipolarer Störung droht beim abrupten Absetzen ein Rückfall. Das Absetzen muss immer schrittweise und unter ärztlicher Kontrolle erfolgen.

Nebenwirkungen von Carbamazepin

Carbamazepin kann verschiedene Nebenwirkungen haben, von denen einige potenziell schwerwiegend sind.

Sehr häufige Nebenwirkungen (mehr als 1 von 10 Personen)

Häufige Nebenwirkungen (1 bis 10 von 100 Personen)

Schwerwiegende Nebenwirkungen (selten bis sehr selten)

Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und Toxische epidermale Nekrolyse (TEN)

Sehr seltene, aber lebensbedrohliche Hautreaktionen:

Blutbildveränderungen

Seltene, aber potenziell gefährliche Veränderungen:

Leberschäden

Selten kann Carbamazepin zu schweren Leberschäden führen:

Herzrhythmusstörungen

🚨 Sofort zum Arzt bei folgenden Symptomen:

  • Hautausschlag mit Fieber: Besonders in den ersten Monaten
  • Blasenbildung auf Haut oder Schleimhäuten
  • Halsschmerzen, Fieber, Schüttelfrost: Kann auf Blutbildveränderung hinweisen
  • Unerklärliche blaue Flecken oder Blutungen: Thrombozytopenie
  • Gelbfärbung der Haut oder Augen: Leberschaden
  • Starke Müdigkeit und Schwäche: Anämie
  • Unregelmäßiger Herzschlag

Weitere Nebenwirkungen

Nebenwirkungen bei Langzeitanwendung

Wechselwirkungen - Das große Problem bei Carbamazepin

Carbamazepin ist ein starker Enzyminduktor und hat deshalb extrem viele Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Es beschleunigt den Abbau zahlreicher Wirkstoffe in der Leber.

Hormonelle Verhütung - Wichtigste Wechselwirkung!

Carbamazepin macht die Antibabypille unwirksam!

⚠️ Kritisch für Frauen im gebärfähigen Alter!

Wenn Sie hormonell verhüten und Carbamazepin einnehmen, ist der Verhütungsschutz nicht mehr gewährleistet! Besprechen Sie mit Ihrem Arzt alternative Verhütungsmethoden. Dies ist besonders wichtig, da Carbamazepin in der Schwangerschaft das ungeborene Kind schädigen kann!

Andere Antiepileptika

Komplexe Wechselwirkungen mit:

Antidepressiva

Weitere wichtige Wechselwirkungen

Medikamente, deren Wirkung abgeschwächt wird:

Medikamente, die Carbamazepin-Spiegel erhöhen:

Alkohol

Alkohol kann die Nebenwirkungen von Carbamazepin verstärken (Schwindel, Benommenheit). Außerdem kann chronischer Alkoholkonsum den Abbau von Carbamazepin beschleunigen.

Gegenanzeigen - Wann darf Carbamazepin nicht eingenommen werden?

Absolute Gegenanzeigen

Relative Gegenanzeigen (besondere Vorsicht)

Schwangerschaft und Stillzeit

Schwangerschaft: Carbamazepin ist teratogen (fruchtschädigend) und erhöht das Risiko für Fehlbildungen beim Kind:

Wenn eine Schwangerschaft unter Carbamazepin eintritt oder geplant ist:

Stillzeit: Carbamazepin geht in die Muttermilch über. Stillen ist möglich, aber:

Regelmäßige Kontrollen - Unbedingt erforderlich!

Unter Carbamazepin-Therapie sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen zwingend notwendig.

Vor Therapiebeginn

Während der Therapie

In den ersten Monaten (häufigere Kontrollen)

Untersuchung Häufigkeit Warum?
Großes Blutbild Monatlich in den ersten 3 Monaten Früherkennung von Blutbildveränderungen
Leberwerte Monatlich in den ersten 3 Monaten Früherkennung von Leberschäden
Carbamazepin-Spiegel Nach 2-4 Wochen, dann bei Dosisänderung Dosisanpassung, Kontrolle der Compliance
Natrium Nach 1-2 Monaten Hyponatriämie-Kontrolle

Langzeitkontrollen (bei stabiler Therapie)

Therapeutischer Bereich (Blutspiegel)

⚠️ Warnzeichen - Bei diesen Symptomen sofort zum Arzt!

  • Hautausschlag, besonders mit Fieber
  • Halsschmerzen, Fieber, Schüttelfrost
  • Unerklärliche Blutergüsse oder Blutungen
  • Gelbfärbung von Haut oder Augen
  • Starke Müdigkeit und Schwäche
  • Dunkler Urin
  • Appetitlosigkeit mit Übelkeit

Carbamazepin absetzen

Das Absetzen von Carbamazepin muss immer schrittweise und unter ärztlicher Kontrolle erfolgen.

Warum ist langsames Ausschleichen wichtig?

Bei epileptischen Patienten:

Bei bipolarer Störung:

Ausschleich-Schema

Ein typisches Ausschleichen erfolgt über mehrere Wochen:

Beispiel Ausschleich-Plan bei 1200 mg:

Woche Dosis
Woche 1-2 1000 mg
Woche 3-4 800 mg
Woche 5-6 600 mg
Woche 7-8 400 mg
Woche 9-10 200 mg
Nach Woche 10 Absetzen

Überwachung beim Absetzen

Verkehrstüchtigkeit und Bedienen von Maschinen

Carbamazepin kann die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen:

⚠️ Autofahren bei Epilepsie

Bei Epilepsie gelten besondere Regelungen für die Fahrerlaubnis:

  • In Deutschland: Mindestens 1 Jahr anfallsfrei für PKW-Führerschein
  • Bei LKW-Führerschein: Strengere Anforderungen (5-10 Jahre anfallsfrei, je nach Anfallsart)
  • Ärztliche Bescheinigung über Anfallsfreiheit erforderlich
  • Auch bei stabiler Medikation beachten

Häufig gestellte Fragen zu Carbamazepin

Wie schnell wirkt Carbamazepin?

Bei Epilepsie tritt die volle Wirkung erst nach 1-2 Wochen ein, da der Blutspiegel erst aufgebaut werden muss. Als Stimmungsstabilisierer bei bipolarer Störung kann es 2-4 Wochen dauern, bis die stimmungsstabilisierende Wirkung vollständig einsetzt. Bei Trigeminusneuralgie kann die Schmerzlinderung bereits nach wenigen Tagen spürbar sein.

Warum sind Blutkontrollen bei Carbamazepin wichtig?

Carbamazepin kann das Blutbild beeinflussen und in seltenen Fällen zu gefährlichen Veränderungen führen (Leukopenie, Agranulozytose, Thrombozytopenie). Auch die Leberwerte müssen überwacht werden, da Carbamazepin die Leber schädigen kann. Außerdem wird der Carbamazepin-Blutspiegel kontrolliert, um die optimale Dosis zu finden. Regelmäßige Blutuntersuchungen sind daher zwingend erforderlich für eine sichere Therapie.

Macht Carbamazepin die Antibabypille unwirksam?

Ja, Carbamazepin beschleunigt den Abbau von hormonellen Verhütungsmitteln und kann dadurch die Wirkung der Antibabypille deutlich reduzieren oder ganz aufheben. Dies gilt für alle hormonellen Verhütungsmethoden (Pille, Pflaster, Vaginalring). Frauen im gebärfähigen Alter sollten daher zusätzliche nicht-hormonelle Verhütungsmethoden verwenden (Kondom, Kupferspirale) oder eine höher dosierte Pille einnehmen (mindestens 50 µg Ethinylestradiol).

Kann man Carbamazepin in der Schwangerschaft nehmen?

Carbamazepin kann das ungeborene Kind schädigen und erhöht das Risiko für Fehlbildungen, besonders Neuralrohrdefekte (Spina bifida), Herzfehler und Gesichtsfehlbildungen. Es sollte während der Schwangerschaft möglichst vermieden werden. Wenn eine Einnahme notwendig ist (z.B. bei schwerer Epilepsie), muss dies unter strenger ärztlicher Überwachung erfolgen mit hochdosierter Folsäure-Supplementierung (5 mg täglich) und engmaschigen Schwangerschaftskontrollen.

Was ist der HLA-B*1502-Test?

HLA-B*1502 ist eine genetische Variante, die besonders bei Menschen asiatischer Abstammung (Han-Chinesen, Thailänder, Philippinos) vorkommt. Menschen mit diesem Gen haben ein stark erhöhtes Risiko für das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) unter Carbamazepin - eine lebensbedrohliche Hautreaktion. Vor Beginn einer Carbamazepin-Therapie sollte bei Patienten mit asiatischer Abstammung ein Gentest durchgeführt werden. Bei positivem Test darf Carbamazepin nicht eingesetzt werden.

Kann man unter Carbamazepin Alkohol trinken?

Alkohol sollte unter Carbamazepin möglichst vermieden werden. Alkohol kann die Nebenwirkungen von Carbamazepin verstärken (Schwindel, Benommenheit, Koordinationsstörungen). Bei Epilepsie erhöht Alkohol außerdem das Anfallsrisiko. Gelegentlicher, moderater Alkoholkonsum ist nach Rücksprache mit dem Arzt eventuell möglich, aber regelmäßiger oder übermäßiger Alkoholkonsum ist gefährlich.

Nimmt man unter Carbamazepin zu?

Gewichtszunahme ist eine mögliche Nebenwirkung von Carbamazepin, aber nicht bei allen Patienten. Manche Menschen nehmen unter Carbamazepin zu, andere nicht. Die Gewichtszunahme ist meist moderat. Regelmäßige Bewegung und bewusste Ernährung können helfen, das Gewicht zu kontrollieren.

Kann Carbamazepin bei Angststörungen helfen?

Carbamazepin ist nicht für die Behandlung von Angststörungen zugelassen und wird dafür normalerweise nicht eingesetzt. Es gibt bessere und sicherere Alternativen wie SSRI oder Verhaltenstherapie. In seltenen Fällen kann es off-label bei bestimmten Angststörungen erwogen werden, aber nur wenn andere Behandlungen nicht wirksam waren.

Zusammenfassung

Carbamazepin (Tegretal) ist ein bewährtes Antiepileptikum und Stimmungsstabilisierer, das seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt wird. Es ist hochwirksam bei fokalen epileptischen Anfällen, bipolarer Störung und Trigeminusneuralgie.

✅ Die wichtigsten Punkte zu Carbamazepin

  • Hauptanwendung: Epilepsie, bipolare Störung, Trigeminusneuralgie
  • Langsames Einschleichen: Reduziert Nebenwirkungen
  • Niemals abrupt absetzen: Gefahr schwerer Anfälle!
  • Regelmäßige Blutkontrollen: Zwingend erforderlich
  • Viele Wechselwirkungen: Besonders mit hormoneller Verhütung
  • Macht Antibabypille unwirksam: Alternative Verhütung wichtig!
  • Fruchtschädigend: In der Schwangerschaft nur wenn unbedingt nötig
  • Seltene schwere Nebenwirkungen: Hautreaktionen, Blutbildveränderungen
  • HLA-B*1502-Test: Bei asiatischer Abstammung vor Therapiebeginn
  • Langzeittherapie: Vitamin-D-Substitution erwägen

Bei korrekter Anwendung, regelmäßigen Kontrollen und Beachtung der Wechselwirkungen ist Carbamazepin ein sehr wirksames und sicheres Medikament zur Langzeitbehandlung von Epilepsie und bipolarer Störung.