Weitere wichtige Psychopharmaka

Neben Antidepressiva, Antipsychotika und Beruhigungsmitteln gibt es weitere wichtige Psychopharmaka, die bei verschiedenen psychischen und neurologischen Erkrankungen eingesetzt werden. Dazu gehören ADHS-Medikamente wie Ritalin und Methylphenidat, Stimmungsstabilisierer wie Lithium zur Behandlung bipolarer Störungen, sowie andere Medikamente mit Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem.

🎯 ADHS-Medikamente (Stimulanzien)

Medikamente zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Sie verbessern Konzentration, Aufmerksamkeit und Impulskontrolle.

Was ist ADHS?

Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine neurobiologische Entwicklungsstörung, die durch Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität gekennzeichnet ist. ADHS beginnt typischerweise in der Kindheit und kann bis ins Erwachsenenalter fortbestehen. In Deutschland sind etwa fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen sowie zwei bis drei Prozent der Erwachsenen betroffen.

Wirkmechanismus von ADHS-Medikamenten

Stimulanzien wie Methylphenidat und Amphetamine erhöhen die Konzentration der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin im synaptischen Spalt. Bei Menschen mit ADHS ist die Regulation dieser Botenstoffe gestört, was zu den typischen Symptomen führt. Durch die medikamentöse Behandlung wird das neurochemische Gleichgewicht wiederhergestellt.

ADHS-Medikamente im Überblick

Ritalin (Methylphenidat)

Das bekannteste ADHS-Medikament

Ritalin ist der Markenname für Methylphenidat und das am häufigsten verschriebene ADHS-Medikament weltweit. Es verbessert die Konzentration und reduziert Hyperaktivität und Impulsivität. Die unretardierte Form wirkt 3-4 Stunden.

Anwendung: ADHS bei Kindern ab 6 Jahren, Jugendlichen und Erwachsenen, Narkolepsie
Wirkdauer: 3-4 Stunden (unretardiert)
Wirkeintritt: 30-45 Minuten

Methylphenidat

Wirkstoffname und Generikum von Ritalin

Methylphenidat ist der Wirkstoffname und als Generikum von verschiedenen Herstellern erhältlich. Die Wirkung ist identisch mit Ritalin, aber oft günstiger. Verfügbar in verschiedenen Retardformulierungen.

Anwendung: ADHS, Narkolepsie
Verfügbare Formen: Unretardiert, Retard (8-12h), LA (bis 12h)

Medikinet / Medikinet retard

Retardiertes Methylphenidat

Medikinet retard ist eine Retardformulierung von Methylphenidat mit verzögerter Wirkstofffreisetzung. Die Wirkung hält 8 Stunden an, was eine einmalige morgendliche Einnahme ermöglicht und den Schulalltag erleichtert.

Anwendung: ADHS
Wirkdauer: 8 Stunden
Vorteil: Einmalige Einnahme am Morgen

Concerta

Lang wirkendes Methylphenidat

Concerta ist eine spezielle Retardformulierung, die durch ein osmotisches System den Wirkstoff über 12 Stunden kontinuierlich freisetzt. Dies ermöglicht eine gleichmäßige Wirkung über den gesamten Tag.

Anwendung: ADHS
Wirkdauer: 10-12 Stunden
Vorteil: Gleichmäßige Wirkung den ganzen Tag

Elvanse (Lisdexamfetamin)

Amphetamin-Prodrug

Elvanse ist ein Prodrug von Dexamphetamin und wirkt ähnlich wie Methylphenidat, aber über einen anderen Mechanismus. Es wird erst im Körper in die aktive Form umgewandelt, was zu einer gleichmäßigen und langen Wirkung führt. Gilt als weniger missbrauchsanfällig.

Anwendung: ADHS (wenn Methylphenidat nicht ausreichend wirkt)
Wirkdauer: 12-14 Stunden
Wirkeintritt: 1-2 Stunden

Attentin (Dexamfetamin)

Reines Dexamphetamin

Attentin enthält Dexamphetamin, das wirksamere Enantiomer von Amphetamin. Es wird eingesetzt, wenn Methylphenidat nicht ausreichend wirkt oder nicht vertragen wird. Die Wirkung ist oft stärker als bei Methylphenidat.

Anwendung: ADHS (Zweitlinientherapie), Narkolepsie
Wirkdauer: 4-6 Stunden (unretardiert)
Wirkeintritt: 30-60 Minuten

Strattera (Atomoxetin)

Nicht-stimulierendes ADHS-Medikament

Atomoxetin ist kein Stimulans, sondern ein selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Es wird eingesetzt, wenn Stimulanzien nicht vertragen werden oder kontraindiziert sind. Die Wirkung setzt verzögert ein (4-6 Wochen) und ist insgesamt schwächer.

Anwendung: ADHS (Alternative zu Stimulanzien)
Wirkdauer: 24 Stunden
Besonderheit: Kein Betäubungsmittel, keine Abhängigkeit

Intuniv (Guanfacin)

Alpha-2A-Agonist

Guanfacin ist ein nicht-stimulierendes ADHS-Medikament, das über Alpha-2A-Rezeptoren wirkt. Es wird oft als Zusatzmedikation zu Stimulanzien eingesetzt und kann besonders bei emotionaler Dysregulation und Aggressivität hilfreich sein.

Anwendung: ADHS (oft als Zusatz zu Stimulanzien)
Wirkdauer: 24 Stunden
Besonderheit: Auch bei Tic-Störungen wirksam

Wichtige Hinweise zu ADHS-Medikamenten

⚠️ Missbrauchspotenzial und Betäubungsmittel

Methylphenidat und Amphetamine sind Betäubungsmittel! Sie unterliegen strengen gesetzlichen Regelungen:

  • Verschreibung nur auf Betäubungsmittelrezept
  • Rezepte nur 7 Tage gültig
  • Regelmäßige ärztliche Kontrollen vorgeschrieben
  • Missbrauch und Weitergabe sind strafbar

Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch zur ADHS-Behandlung besteht kein relevantes Abhängigkeitsrisiko. Missbrauch zu Leistungssteigerung oder Rauschzwecken kann jedoch zur Abhängigkeit führen.

Nebenwirkungen von Stimulanzien

Häufige Nebenwirkungen von Methylphenidat und Amphetaminen:

💡 ADHS-Behandlung: Mehr als nur Medikamente

Die optimale ADHS-Behandlung ist multimodal und umfasst:

  • Medikamentöse Behandlung: Kernelement bei mittelschwerer bis schwerer ADHS
  • Psychotherapie: Verhaltenstherapie, Coaching
  • Psychoedukation: Aufklärung über ADHS
  • Elterntraining: Bei Kindern und Jugendlichen
  • Strukturierungshilfen: Alltags- und Zeitmanagement
  • Schulische Unterstützung: Nachteilsausgleich, angepasste Lernumgebung

⚖️ Stimmungsstabilisierer

Medikamente zur Behandlung bipolarer Störungen. Sie stabilisieren die Stimmung und beugen manischen und depressiven Episoden vor.

Was sind Stimmungsstabilisierer?

Stimmungsstabilisierer (auch Phasenprophylaktika genannt) sind Medikamente, die extreme Stimmungsschwankungen bei bipolaren Störungen verhindern oder abschwächen. Sie wirken sowohl gegen Manien (übermäßig gehobene Stimmung, Größenwahn, vermindertes Schlafbedürfnis) als auch gegen Depressionen und werden zur Langzeitbehandlung eingesetzt.

Lithium - Der klassische Stimmungsstabilisierer

Wirkmechanismus von Lithium

Der genaue Wirkmechanismus von Lithium ist nicht vollständig geklärt. Es beeinflusst verschiedene Neurotransmittersysteme und zelluläre Signalwege. Lithium stabilisiert neuronale Membranen, beeinflusst die Genexpression und hat neuroprotektive Eigenschaften.

Wichtige Hinweise zur Lithium-Therapie

⚠️ Lithium: Besondere Vorsicht erforderlich

Lithium hat eine sehr enge therapeutische Breite. Das bedeutet, der Unterschied zwischen wirksamer Dosis und toxischer Dosis ist gering.

Regelmäßige Kontrollen sind Pflicht:

  • Lithiumspiegel im Blut: Zu Beginn wöchentlich, später alle 3 Monate
  • Nierenfunktion: Kreatinin, GFR alle 6-12 Monate
  • Schilddrüsenfunktion: TSH alle 6-12 Monate
  • Kalzium: Alle 12 Monate
  • EKG: Vor Behandlungsbeginn und bei Bedarf

Nebenwirkungen von Lithium

Lithium kann verschiedene Nebenwirkungen verursachen:

Häufige Nebenwirkungen

Zeichen einer Lithiumintoxikation

Bei zu hohem Lithiumspiegel (>1,5 mmol/L) können auftreten:

Bei Verdacht auf Lithiumintoxikation sofort zum Arzt oder in die Notaufnahme!

Weitere Stimmungsstabilisierer

💊 Schmerzmittel mit psychotroper Wirkung

Einige Schmerzmittel, insbesondere Opioide, haben Auswirkungen auf Psyche und Verhalten und werden manchmal missbräuchlich verwendet.

Tramadol - Schwaches Opioid

Wichtige Hinweise zu Tramadol

⚠️ Tramadol: Abhängigkeitsrisiko

Obwohl Tramadol als "schwaches" Opioid gilt, hat es ein nicht zu unterschätzendes Abhängigkeitspotenzial. In den letzten Jahren haben Fälle von Tramadol-Missbrauch zugenommen.

  • Nicht länger als nötig einnehmen
  • Nicht eigenmächtig Dosis erhöhen
  • Vorsicht bei Menschen mit Suchterkrankungen in der Vorgeschichte
  • Nicht mit Alkohol kombinieren
  • Vorsicht bei Kombination mit Antidepressiva (Serotoninsyndrom-Risiko)

Nebenwirkungen von Tramadol

Weitere wichtige Medikamente

Gabapentin (Neurontin)

Antiepileptikum mit anxiolytischer Wirkung

Gabapentin wird bei neuropathischen Schmerzen und Epilepsie eingesetzt, zeigt aber auch angstlösende Eigenschaften. Off-Label wird es manchmal bei Angststörungen verwendet. Es hat im Gegensatz zu Benzodiazepinen kein Abhängigkeitspotenzial im klassischen Sinne, wird aber zunehmend missbräuchlich verwendet.

Anwendung: Neuropathische Schmerzen, Epilepsie, (off-label: Angst)
Vorteil: Keine Abhängigkeit wie bei Benzodiazepinen
Problem: Zunehmender Missbrauch

Pregabalin (Lyrica)

Antiepileptikum bei Angst und Schmerz

Pregabalin ist strukturell mit Gabapentin verwandt und zur Behandlung der generalisierten Angststörung zugelassen. Es wirkt schneller angstlösend als Antidepressiva, hat aber ein Missbrauchspotenzial und kann abhängig machen.

Anwendung: Generalisierte Angststörung, neuropathische Schmerzen, Epilepsie
Vorteil: Schneller Wirkungseintritt
Risiko: Missbrauchspotenzial, seit 2019 unter Betäubungsmittelgesetz

Buspiron

Nicht-abhängig machendes Anxiolytikum

Buspiron ist ein Anxiolytikum ohne Abhängigkeitspotenzial. Es wirkt über Serotonin-Rezeptoren und wird bei generalisierter Angststörung eingesetzt. Der Nachteil ist der verzögerte Wirkungseintritt (2-4 Wochen) und die geringere Wirksamkeit im Vergleich zu Benzodiazepinen.

Anwendung: Generalisierte Angststörung
Vorteil: Keine Abhängigkeit, keine Sedierung
Nachteil: Verzögerter Wirkungseintritt, oft nur mäßig wirksam

Modafinil (Vigil)

Wachmacher bei Narkolepsie

Modafinil fördert Wachheit und wird bei Narkolepsie und Schichtarbeiterschlafstörung eingesetzt. Off-Label wird es als "Neuroenhancer" zur kognitiven Leistungssteigerung missbraucht. Es unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz.

Anwendung: Narkolepsie, Schichtarbeiterschlafstörung
Missbrauch: Als "Smart Drug" zur Leistungssteigerung
Status: Betäubungsmittel

Baclofen

Muskelrelaxans und Alkoholismus-Behandlung

Baclofen ist ein Muskelrelaxans, das in hohen Dosen auch zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit eingesetzt wird (off-label). Es reduziert das Verlangen nach Alkohol über GABA-B-Rezeptoren.

Anwendung: Spastik, (off-label: Alkoholismus)
Besonderheit: Experimentelle Therapie bei Sucht
Nebenwirkungen: Müdigkeit, Schwindel

Disulfiram (Antabus)

Alkohol-Aversionstherapie

Disulfiram blockiert den Abbau von Alkohol, was bei Alkoholkonsum zu sehr unangenehmen Symptomen führt (Flush, Übelkeit, Herzrasen). Es wird zur Rückfallprophylaxe bei Alkoholabhängigkeit eingesetzt, wenn der Patient hochmotiviert ist.

Anwendung: Alkoholabhängigkeit (Rückfallprophylaxe)
Mechanismus: Abschreckung durch unangenehme Reaktion bei Alkoholkonsum
Wichtig: Absolutes Alkoholverbot

💡 Wichtiger Haftungsausschluss

Dieser Artikel dient ausschließlich der Information und ersetzt nicht die professionelle Beratung durch einen Arzt oder Apotheker. Bei gesundheitlichen Beschwerden konsultieren Sie bitte einen Arzt. Nehmen Sie Medikamente nur nach Rücksprache mit einem Arzt ein und beachten Sie die Packungsbeilage.

Bei akuten Krisen: Telefonseelsorge 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 (24h, kostenlos)