Was sind Antipsychotika?
Antipsychotika sind Medikamente, die zur Behandlung psychotischer Symptome eingesetzt werden. Eine Psychose ist gekennzeichnet durch einen Verlust des Realitätsbezugs, der sich in Halluzinationen (Wahrnehmungen ohne äußeren Reiz), Wahnvorstellungen (falsche, nicht korrigierbare Überzeugungen) und Denkstörungen äußert. Die Hauptindikation für Antipsychotika ist die Schizophrenie, aber sie werden auch bei anderen Erkrankungen wie bipolaren Störungen, schweren Depressionen mit psychotischen Symptomen und Demenz eingesetzt.
Wirkmechanismus
Der Hauptwirkmechanismus aller Antipsychotika ist die Blockade von Dopamin-Rezeptoren im Gehirn, insbesondere der D2-Rezeptoren. Dopamin ist ein Neurotransmitter, der bei psychotischen Erkrankungen in bestimmten Hirnregionen überaktiv ist. Durch die Blockade dieser Rezeptoren werden die psychotischen Symptome gelindert.
Atypische Antipsychotika wirken zusätzlich auf andere Neurotransmittersysteme, insbesondere Serotonin, was zu einem verbesserten Nebenwirkungsprofil führen kann.
Typische vs. Atypische Antipsychotika
Die Einteilung in typische und atypische Antipsychotika ist historisch gewachsen:
- Typische Antipsychotika (auch klassische Neuroleptika genannt) wurden ab den 1950er Jahren entwickelt und blockieren hauptsächlich Dopamin-D2-Rezeptoren. Sie sind wirksam gegen positive Symptome (Halluzinationen, Wahn), verursachen aber häufiger motorische Nebenwirkungen.
- Atypische Antipsychotika wurden ab den 1990er Jahren eingeführt und wirken auf mehrere Neurotransmittersysteme. Sie haben ein günstigeres Nebenwirkungsprofil bezüglich motorischer Störungen, können aber metabolische Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme verursachen.
💡 Positive und Negative Symptome
Bei der Schizophrenie unterscheidet man zwischen:
Positive Symptome (etwas kommt hinzu): Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Denkstörungen, desorganisiertes Verhalten. Diese sprechen gut auf Antipsychotika an.
Negative Symptome (etwas fehlt): Antriebslosigkeit, emotionale Verflachung, sozialer Rückzug, Sprachverarmung. Diese sind schwerer zu behandeln, atypische Antipsychotika können hier etwas besser wirken als typische.
Atypische Antipsychotika (Zweite Generation)
Risperdal (Risperidon)
Häufig verschriebenes atypisches Antipsychotikum
Risperidon ist eines der am häufigsten verwendeten atypischen Antipsychotika. Es hat eine gute antipsychotische Wirkung und ist bei verschiedenen psychotischen Störungen wirksam. Bei höheren Dosen können jedoch motorische Nebenwirkungen auftreten.
Zyprexa (Olanzapin)
Wirksames Antipsychotikum mit sedierender Wirkung
Olanzapin ist hochwirksam bei Schizophrenie und bipolaren Störungen. Es hat starke beruhigende Eigenschaften und wirkt gut gegen Unruhe und Agitation. Hauptnebenwirkung ist die ausgeprägte Gewichtszunahme und metabolische Veränderungen.
Seroquel (Quetiapin)
Vielseitiges Antipsychotikum
Quetiapin ist ein sehr vielseitig einsetzbares Antipsychotikum. Es wird nicht nur bei Schizophrenie, sondern auch bei bipolarer Depression und als Schlafmittel verwendet. In niedriger Dosierung stark sedierend, in höherer Dosierung antipsychotisch wirksam.
Abilify (Aripiprazol)
Dopamin-Partialagonist mit einzigartigem Wirkmechanismus
Aripiprazol hat einen einzigartigen Wirkmechanismus als Dopamin-Partialagonist. Es stabilisiert das Dopaminsystem, anstatt es nur zu blockieren. Dies führt zu weniger motorischen und metabolischen Nebenwirkungen. Kann aktivierend wirken.
Invega (Paliperidon)
Aktiver Metabolit von Risperidon
Paliperidon ist chemisch mit Risperidon verwandt und wirkt ähnlich. Es ist als Depotspritze (Invega Sustenna, Invega Trinza) verfügbar, die nur einmal monatlich bzw. alle drei Monate gegeben werden muss und so die Therapietreue verbessert.
Clozapin (Leponex)
Das wirksamste, aber auch risikoreichste Antipsychotikum
Clozapin ist das wirksamste Antipsychotikum und wird bei therapieresistenter Schizophrenie eingesetzt. Es hat praktisch keine motorischen Nebenwirkungen, kann aber schwere Nebenwirkungen wie Agranulozytose (Abfall der weißen Blutkörperchen) verursachen. Regelmäßige Blutbildkontrollen sind Pflicht.
Ziprasidon (Zeldox)
Gewichtsneutrales Antipsychotikum
Ziprasidon ist ein atypisches Antipsychotikum, das als eines der wenigen keine oder kaum Gewichtszunahme verursacht. Es kann leicht aktivierend wirken und wird zweimal täglich eingenommen. EKG-Kontrollen sind empfohlen.
Lurasidon (Latuda)
Modernes Antipsychotikum
Lurasidon ist ein neueres atypisches Antipsychotikum mit günstigem Nebenwirkungsprofil. Es verursacht wenig Gewichtszunahme und wenig Sedierung. Es ist auch zur Behandlung bipolarer Depressionen zugelassen.
Cariprazin (Reagila)
Neuestes Antipsychotikum mit Partialagonismus
Cariprazin ist ein sehr modernes Antipsychotikum mit einem ähnlichen Wirkmechanismus wie Aripiprazol. Es zeigt besonders gute Wirkung gegen negative Symptome der Schizophrenie und hat ein günstiges Nebenwirkungsprofil.
Typische Antipsychotika (Erste Generation)
Haldol (Haloperidol)
Das klassische hochpotente Neuroleptikum
Haloperidol ist das bekannteste typische Antipsychotikum und wird seit den 1960er Jahren verwendet. Es ist sehr wirksam gegen positive Symptome und wird häufig in der Akutbehandlung eingesetzt. Motorische Nebenwirkungen sind häufig.
Flupentixol (Fluanxol)
Aktivierendes typisches Neuroleptikum
Flupentixol hat in niedriger Dosierung eine aktivierende und stimmungsaufhellende Wirkung und wird daher auch bei Depressionen eingesetzt. In höherer Dosierung wirkt es antipsychotisch.
Sulpirid (Dogmatil)
Niedrigpotentes typisches Neuroleptikum
Sulpirid ist ein niedrigpotentes typisches Antipsychotikum mit dosisabhängiger Wirkung. In niedriger Dosierung wirkt es aktivierend und antidepressiv, in höherer Dosierung antipsychotisch. Es verursacht weniger motorische Nebenwirkungen als andere typische Neuroleptika.
Chlorpromazin
Das erste Antipsychotikum überhaupt
Chlorpromazin war das erste Antipsychotikum, das 1952 eingeführt wurde und die Psychiatrie revolutionierte. Es ist niedrigpotent und stark sedierend. Heute wird es seltener verwendet.
Fluphenazin
Hochpotentes Depotpräparat
Fluphenazin ist als Depotspritze verfügbar, die alle zwei bis vier Wochen gegeben wird. Dies ist vorteilhaft bei mangelnder Therapietreue. Es ist hochpotent und verursacht häufig motorische Nebenwirkungen.
Perazin
Mittelpotentes sedierendes Neuroleptikum
Perazin ist ein mittelpotentes typisches Antipsychotikum mit stark sedierender Wirkung. Es wird häufig bei Erregungszuständen und Schlafstörungen im Rahmen psychotischer Erkrankungen eingesetzt.
Vergleich: Typische vs. Atypische Antipsychotika
| Eigenschaft | Typische Antipsychotika | Atypische Antipsychotika |
|---|---|---|
| Einführung | 1950er - 1980er Jahre | Ab 1990er Jahren |
| Hauptwirkung | D2-Rezeptor-Blockade | D2- und 5-HT2A-Rezeptor-Blockade |
| Wirkung gegen positive Symptome | Sehr gut | Sehr gut |
| Wirkung gegen negative Symptome | Gering bis keine | Etwas besser |
| Motorische Nebenwirkungen (EPS) | Häufig (Parkinsonismus, Dyskinesien, Akathisie) | Seltener, außer bei höheren Dosen von Risperidon |
| Spätdyskinesien | Höheres Risiko (15-20% nach 1 Jahr) | Geringeres Risiko (5% nach 1 Jahr) |
| Gewichtszunahme | Moderat | Oft stärker (besonders Olanzapin, Clozapin) |
| Metabolische Effekte | Gering | Häufiger (Diabetes, Fettstoffwechselstörungen) |
| Prolaktinerhöhung | Stark (besonders bei hochpotenten) | Unterschiedlich (hoch bei Risperidon, niedrig bei Aripiprazol) |
| Kosten | Sehr günstig | Teurer (außer Generika) |
Anwendungsgebiete
Schizophrenie
Die Hauptindikation für Antipsychotika ist die Behandlung der Schizophrenie. Sie werden sowohl in der Akutphase eingesetzt, um psychotische Symptome zu kontrollieren, als auch langfristig zur Rückfallprophylaxe. Die Behandlung sollte mindestens ein bis zwei Jahre nach der ersten Episode fortgesetzt werden, bei wiederholten Episoden oft lebenslang.
Bipolare Störung
Viele atypische Antipsychotika sind zur Behandlung der bipolaren Störung zugelassen. Sie werden eingesetzt bei:
- Akuter Manie (z.B. Olanzapin, Quetiapin, Aripiprazol)
- Bipolarer Depression (Quetiapin, Lurasidon)
- Rückfallprophylaxe
- Augmentation bei unzureichendem Ansprechen auf Stimmungsstabilisierer wie Lithium
Depression
Einige atypische Antipsychotika werden zur Augmentation (Verstärkung) bei therapieresistenter Depression eingesetzt, wenn Antidepressiva allein nicht ausreichend wirken. Aripiprazol und Quetiapin sind hierfür zugelassen.
Delir
Bei akuten Verwirrtheitszuständen (Delir), besonders im Krankenhaus oder bei älteren Patienten, wird häufig Haloperidol eingesetzt.
Demenz
Bei schweren Verhaltensstörungen im Rahmen einer Demenz können niedrig dosierte Antipsychotika kurzfristig eingesetzt werden, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen. Dies sollte jedoch sehr zurückhaltend erfolgen, da Antipsychotika bei Demenz das Schlaganfall- und Sterblichkeitsrisiko erhöhen können.
Tourette-Syndrom
Haloperidol und andere Antipsychotika können die motorischen und vokalen Tics beim Tourette-Syndrom reduzieren.
Nebenwirkungen von Antipsychotika
⚠️ Wichtige Nebenwirkungen im Überblick
Antipsychotika können verschiedene Nebenwirkungen verursachen. Die Art und Häufigkeit hängt vom spezifischen Medikament, der Dosis und der individuellen Empfindlichkeit ab. Regelmäßige ärztliche Kontrollen sind wichtig.
Extrapyramidale Symptome (EPS)
Dies sind die charakteristischen motorischen Nebenwirkungen, die besonders bei typischen Antipsychotika auftreten:
Frühdyskinesien
Unwillkürliche Bewegungen, besonders im Gesichts- und Halsbereich, die in den ersten Tagen der Behandlung auftreten. Sie sind gut behandelbar mit Anticholinergika (z.B. Biperiden).
Parkinsonismus
Parkinson-ähnliche Symptome wie Zittern, Muskelsteifigkeit, verlangsamte Bewegungen und ausdrucksloses Gesicht. Tritt nach Tagen bis Wochen auf.
Akathisie
Quälende innere Unruhe mit Bewegungsdrang. Dies ist eine sehr belastende Nebenwirkung, die oft zu Therapieabbruch führt. Behandlung mit Betablockern oder Dosisreduktion.
Spätdyskinesien
Unwillkürliche Bewegungen, die nach Monaten bis Jahren der Behandlung auftreten und oft irreversibel sind. Besonders betroffen sind Mund, Zunge und Gesicht (Schmatzen, Grimassieren, Zungenwälzen). Das Risiko ist bei typischen Neuroleptika höher.
Metabolische Nebenwirkungen
Besonders atypische Antipsychotika können den Stoffwechsel beeinflussen:
Gewichtszunahme
Viele Antipsychotika, besonders Olanzapin und Clozapin, führen zu deutlicher Gewichtszunahme. Dies kann 10-20 kg oder mehr betragen und ist auf gesteigerten Appetit und veränderten Stoffwechsel zurückzuführen.
Diabetes mellitus
Das Risiko für Typ-2-Diabetes ist unter einigen Antipsychotika erhöht. Regelmäßige Blutzuckerkontrollen sind wichtig.
Fettstoffwechselstörungen
Erhöhte Cholesterin- und Triglyceridwerte treten häufig auf und erhöhen das kardiovaskuläre Risiko.
Prolaktinerhöhung
Viele Antipsychotika erhöhen den Prolaktinspiegel im Blut. Dies kann führen zu:
- Ausbleiben der Menstruation bei Frauen
- Milchfluss aus der Brust (Galaktorrhoe)
- Sexuelle Funktionsstörungen
- Verringerte Knochendichte bei Langzeitbehandlung
Sedierung
Viele Antipsychotika, besonders niedrigpotente typische und einige atypische (Olanzapin, Quetiapin), wirken stark sedierend. Dies kann zu Beginn belastend sein, bei Schlafstörungen aber auch erwünscht.
Kardiovaskuläre Effekte
- QT-Zeit-Verlängerung im EKG (erhöhtes Risiko für Herzrhythmusstörungen)
- Orthostatische Hypotonie (Schwindel beim Aufstehen)
- Tachykardie (erhöhte Herzfrequenz)
Seltene, aber schwere Nebenwirkungen
Malignes neuroleptisches Syndrom (MNS)
Ein sehr seltener, aber lebensbedrohlicher Notfall mit Fieber, Muskelsteifigkeit, Bewusstseinsstörung und autonomer Instabilität. Sofortiger Therapiestopp und intensivmedizinische Behandlung erforderlich.
Agranulozytose
Schwerer Abfall der weißen Blutkörperchen, besonders unter Clozapin. Regelmäßige Blutbildkontrollen sind Pflicht.
Wichtige Hinweise zur Behandlung
✓ Erfolgsfaktoren für die Behandlung
- Regelmäßige Einnahme: Die konsequente Medikamenteneinnahme ist entscheidend für den Behandlungserfolg
- Geduld: Die volle Wirkung entwickelt sich erst nach Wochen
- Kontrollen: Regelmäßige ärztliche Untersuchungen mit Blutbild, Stoffwechselparametern, Gewicht und EKG
- Lebensstil: Gesunde Ernährung und Bewegung sind wichtig, besonders zur Prävention metabolischer Nebenwirkungen
- Nicht eigenständig absetzen: Ein Rückfall ist sehr wahrscheinlich bei abruptem Absetzen
- Psychosoziale Behandlung: Medikamente allein reichen nicht - Psychotherapie, soziale Unterstützung und Rehabilitation sind wichtig
Depotpräparate
Depotantipsychotika sind Langzeitinjektionen, die nur alle zwei bis zwölf Wochen verabreicht werden müssen. Sie sind besonders hilfreich bei:
- Mangelnder Therapietreue (Non-Compliance)
- Schwierigkeiten mit der täglichen Tabletteneinnahme
- Wiederholten Rückfällen aufgrund vergessener Einnahmen
Verfügbare Depotpräparate umfassen typische (Haloperidol-Depot, Fluphenazin-Depot) und atypische Antipsychotika (Risperidon-Depot, Paliperidon-Depot, Aripiprazol-Depot, Olanzapin-Depot).
Absetzen von Antipsychotika
Das Absetzen von Antipsychotika sollte immer langsam und unter ärztlicher Aufsicht erfolgen. Ein abruptes Absetzen kann zu:
- Absetzerscheinungen (Übelkeit, Schlafstörungen, Unruhe)
- Rückfall in die psychotische Episode (sehr hohes Risiko)
- Rebound-Psychose (besonders schwere Rückfallsymptomatik)
Die Rückfallrate nach Absetzen von Antipsychotika ist hoch, besonders im ersten Jahr. Nach der ersten psychotischen Episode wird eine Behandlungsdauer von ein bis zwei Jahren empfohlen, bei wiederholten Episoden oft eine Dauerbehandlung.
⚠️ Wichtiger Sicherheitshinweis
Setzen Sie Antipsychotika niemals eigenständig ab! Das Rückfallrisiko ist extrem hoch. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt, wenn Sie die Medikation beenden möchten. Ein langsames Ausschleichen über Monate kann das Rückfallrisiko reduzieren, eliminiert es aber nicht vollständig.
💡 Wichtiger Haftungsausschluss
Dieser Artikel dient ausschließlich der Information und ersetzt nicht die professionelle Beratung durch einen Arzt oder Apotheker. Bei gesundheitlichen Beschwerden konsultieren Sie bitte einen Arzt. Nehmen Sie Medikamente nur nach Rücksprache mit einem Arzt ein und beachten Sie die Packungsbeilage.
Bei akuten Krisen: Telefonseelsorge 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 (24h, kostenlos)